| | Titel: | UNVERSTÄNDLICH | | Datum: | 12.01.02 | | Text: | UNVERSTÄNDLICH
Auf einer entlegenen Insel erforschte ein Anthropologe die Strukturen der Inselgesellschaft und die Verhaltensweisen der Bewohner. Eines Tages wurde er aber selbst zum Mittelpunkt der Neugier, denn einige Insulaner wollten von ihm wissen, wie es draußen in der weiten Welt zuginge.
„Wir erfahren hier ja manches durch das Radio, und wenn etwas ganz wichtig ist, wird es uns per Funk mitgeteilt. Eine von uns, die von hier weggegangen sind, haben sogar auf dem Kontinent studiert, und manchmal kommt jemand von denen für ein paar Wochen hierher zurück. Was es draußen in der Welt aber Besonderes gibt, hat uns schon lange niemand mehr erzählt.“
„Ich weiß gar nicht, womit ich beginnen soll“, sagte der Anthropologe. „Aber da ihr das Radio erwähnt habt, will ich euch sagen, daß es so etwas ähnliches gibt, das nicht nur Sprache und Musik, sondern auch Bilder sendet. Dadurch kann man bereits nach kurzer Zeit sehen und hören, was irgendwo auf der Welt passiert ist. Sprechen kann man heute mit den meisten Menschen, die weit von einander entfernt sind, innerhalb kürzester Zeit per Telefon. Jetzt gibt es kleine Telefone, die man in der Hosentasche mit sich führt, und jeder kann sofort mit jedem sprechen, der auch so ein Telefon hat, egal in welcher Stadt oder in welchem Land der andere lebt. Man kann aber auch Nachrichten und Briefe abschicken, die nur ein paar Sekunden später beim Empfänger irgendwo auf der Welt ankommen. Man kann also innerhalb von ein paar Sekunden alle Nachrichten und Informationen rund um die ganze Erde schicken. Man braucht also keinen Boten, der sich auf eine lange Reise begeben muß, und man muß auch nicht warten, bis ein Brief, auf dem Postweg mit Eisenbahn und Schiff unterwegs, erst nach vielen Wochen beim Empfänger eintrifft. Aber auch die Eisenbahnen fahren immer schneller, und immer mehr Flugzeuge fliegen immer schneller von einem Ort zum andern. Alles geht immer schneller in der Welt da draußen, es ist kaum zu glauben.“
Staunend hatten die Insulaner zugehört. „Wenn das alles stimmt, was du uns erzählt hast“, sagte der Älteste von ihnen, „dann verstehe ich trotzdem eines nicht: Wenn alles immer schneller erledigt ist, warum habt ihr dann trotzdem keine Zeit?“
Quelle:
SONNE FÜR DIE SEELE von Norbert Leebleitner – Herder Verlag Freiburg
| | Stichwort: | Weisheiten |
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