Androgyn (griech.), das Mannweib, ein Zweigeschlechterwesen, wird oft mit dem Ausdruck Hermaphrodit bezeichnet, worunter jedoch eher ein intersexuelles Wesen zu verstehen wäre.
Beide Ausdrücke werden in älteren symbolkundlichen Werken meist gleichsinnig gebraucht. Während der heutige Mensch in diesem Zusammenhang an geschlechtlich undeterminierte Zwitter denkt, stand in den alten Kulturen die Vorstellung einer Gestalt im Vordergrund, die Männliches und Weibliches zugleich in sich barg wie Zeus als Allgott im orphischen Hymnus: »Zeus ist männlich, Zeus ist eine unsterbliche Frau...«
Vielfach wird in alten Mythen ein Urwesen zu Beginn der Weltschöpfung vorgestellt, das erst später in seine beiden komplementären Hälften zertrennt wurde.
Auch Adam soll, jüdischen Sagen zufolge, zunächst androgyn gewesen sein, ehe Eva aus ihm ausgesondert und verselbständigt wurde.
Symbolkundlich haben wir es mit der Spekulation um den Themenkreis Dualität und Ganzheit zu tun, wobei die bipolare Spannung nicht immer nur im Sinne der Sexualität aufgefaßt wurde, sondern auch andere Gegensatzpaare bedeuten kann.
In der Bilderwelt der Alchemie etwa verkörpert der Androgyn die beiden Urelemente »Sulphur und Mercurius« (wörtlich Schwefel und Quecksilber, im übertragenen Sinn Brennendes und Flüchtiges), die in der Urmaterie, dem Ausgangsstoff des »Großen Werkes«, rein dargestellt werden und nach Läuterung im »Stein der Weisen« die ideale Ganzheit auf höchster Stufe repräsentieren.
Androgyne Gestalten als Symbole des Zusammenschlusses der Gegensätze (lat. coincidentia oppositorum) zu einer göttlich-autonomen Einheit, durch den Zusammenschluß der Gegensätze erreicht, treten in Göttergestalten Asiens (Shiva-Shakti) und der Südsee auf, teils vertikal aus Männer- und Frauenkörper zusammengesetzt, teils als Männer mit weiblichen Brüsten.
In der Bilderwelt des Abendlandes finden wir gelegentlich Götter in Frauenkleidern oder bärtige Göttinnen und Heilige. Das Androgyn-Bild bedeutet immer die wiedergewonnene Ur-Einheit, die ursprüngliche Ganzheit des mütterlichen und väterlichen Reiches in göttlicher Vollkommenheit, die alle Spannungen auflöst.
Ovids »Metamorphosen« erzählen von Hermaphroditos, dessen Körper mit jenem der Quellnymphe Salmakis untrennbar verschmolzen wird, worauf jeder Mensch, der in der Quelle badet, ebenfalls zum »Hermaphroditen« werden muß.